Am Sonntag, am Morgen des 22. Dezember ist Andro in einem Krankenhaus im Nordosten Brasiliens in seinem 79. Lebensjahr überraschend gestorben. Andro war der Gründer der Antinous Gemeinschaft und des Diamond Lotus Tantra Instituts. Er war unser Lehrer und Lebenspartner.

Ich habe Andro seit 1985 auf seinem Weg begleitet (und er mich in meiner Persönlichkeitsentwicklung) und habe in ihm einen inspirierten und liebenden Mann kennen gelernt, der den Mut hatte, Grenzen der gesellschaftlich definierten Sexualmoral zu hinterfragen und jenseits dieser Grenzen Erfahrungswege zu erforschen, die, wenn man sie Schritt für Schritt konsequent geht, Herzoffenheit, Mut und Klarheit des Denkens bewirken. Liebe und Lust verschmelzen laut Andro in diesem Prozess zu einem und sind nicht nur Gefühl, sondern auch Haltung, Lebenseinstellung und Handlung. Für ihn war das Leben Abenteuer und Häuslichkeit zugleich. Ich bin für die Abenteuer und die häuslichen Momente, welche ich mit ihm über die vielen Jahre des Zusammenlebens, des Lernens und des Zusammenwirkens erleben durfte zutiefst dankbar.

Er selber war ein klarer Denker und politisch scharfsinniger Beobachter des Weltgeschehens. Gesellschaftliches Engagement und Gemeinsinn waren für ihn wesentliche Eigenschaften eines wachen und mitfühlenden Menschen, genau so wie Fürsorglichkeit und Wachsamkeit im Privaten oder auch der Mut, Liebe und Lust bedingungslos zu verschenken und zu geniessen. Es war eines seiner grössten Anliegen, Menschen dabei zu unterstützen, das lebendige Empfinden der eigenen Gefühle zu erforschen und ihr ganzes emotionales Potential (wieder-) zu entfalten. Er war kein Guru, lehnte jeden Persönlichkeitskult ab. Er war ein zutiefst überzeugter Humanist, der mehr in der fraglosen Hingabe an den Alltag, in der Vergebung aller Schuld und im Überwinden aufgezwungener sexueller Schamgefühle die Erlösung vom Leiden sah, als im Jonglieren kluger Worte, obwohl er durchaus klug zu reden und zu schreiben verstand.

Er war durch und durch Tantriker, Praktizierender und Lehrender der roten, linkshändigen Pfade des hinduistischen wie des buddhistischen Tantra, hat unzählige Menschen mit seinem Wissen und seinen tantrisch, psychologisch und körpertherapeutisch inspirierten Methoden beflügelt, selbstverantwortliche, rücksichtsvolle Individuen, Liebende und Geniessende zu werden. Er hat eine sehr einfühlsame Form der Tantramassage für unsere moderne Welt entwickelt, welche weltweit vielen Menschen die eigene sexuelle Würde zurückgegeben hat, um nur eines seiner kreativen Geschenke an die Welt zu erwähnen.

Wir vermissen einen selbstlos engagierten Familienmenschen, unseren Freund und Geliebten.
Doch wir spüren auch, dass Andros Seele und auch die liebevolle Erinnerung an ihn nach seinem Ableben unter uns weilt und uns anspornt, sein Lebenswerk zu würdigen und unsere tantrische Reise fortzusetzen zum Wohle aller lebenden Wesen und mit der Kraft, Gesellschaften nachhaltig zu wandeln.

In Liebe

Saranam und die Antinous Gemeinschaft

Aus dem Körper der Wandlungen treten

von Andro

Alles, was du siehst, hörst, riechst, emp­findest und fühlst, wird von dir erst zu dem gemacht, als was es dir erscheint. An der Grenze deines Körpers wandeln sich die Dinge um. Zwar möchtest du glauben, dass eine Farbe, die dein Auge sieht, die gleiche sei, wie jene, die ein anderer sieht, und doch gibt es keine gänzlich gleiche Farben. Es ist deine Empfindung, welche gleicht, die den Farbwert setzt. Wie oft wertest du nach Maßen, die dir unbe­kannt, welche du nicht selber für wahr ge­nommen, sondern von anderen genom­men hast? Nicht das Aussen bestimmt dich, sondern dein Innen bestimmt das Aussen, welches du auf dich wirken lässt. Niemand ausser dir selber zwingt dich zu setzen, Werte zu bestimmen, und den­noch verfällst du aus Angst und Bequem­lichkeit den Wertungen anderer, die du nicht liebst und nicht kennst. Du machst dir die Neigungen anderer zu eigen, wie deren Abneigungen und verlierst damit dein Selbstsein. Du baust dein Sein nach ihrem Bilde, machst dich unfrei und gemein.

Tritt aus dem Körper der Wandlungen wie Phönix aus der Asche, denn nichts bindet dich, wo du nicht selber dich binden lässt. Tritt heraus und verändere dich.

Die Veränderbarkeit der Form ist das We­sen des Lebens. Ein Stein, ein Ding scheint aus sich heraus unveränderbar. Du aber vermagst dich zu lösen aus deiner Form, über eine Bestimmung hinaus, dich zu er­heben. Indem du dich vervollkommnest, veränderst du auch alles andere. Blickst du lächelnd auf einen Stein, wird er dir schön erscheinen. Blickst du furchtvoll auf den Stein, so wirst du fürchten, von ihm erschlagen zu werden.

Das in dir Lebendige, welches dich, die Dinge und die Welt beseelt, benennt und bewertet, wirkt gleichermaßen in allem anderen. In jedes Wesen, das lebt, ver­magst du einzudringen und es zu verste­hen. Indem du verstehst, wirst du lieben, indem du liebst, wirst du Teil des sich ständig neugebärenden – formenden Seins.

So du heraustrittst aus dem endlichen Be­zug des Körperlichen in den unendlichen Fluss des ewig Lebendigen, verlierst du die Angst vor der Zeit, befindest dich hell­strahlend in Buddhaschaft, welche gleich­zeitig Vereinung aller Werte bedeutet.

Wo Anfang und Ende sich aufheben, alle Begrenzungen flüssig sind, gut und böse namenlos werden und du, selber in allem enthalten, alles enthaltend bist.

Das ist Buddha Amitaba Dharma Kaya

Die Pforten der Wahrnehmung (Gedicht von Andro, vorgetragen nach einem Maithuna-Ritual)

von Andro